Dreckig, laut, dynamisch? Woran denken Sie, wenn Sie „Warschauer Straße“ hören? Geschmäcker sind verschieden, Meinungen auch. Der eine sieht in der Partymeile zwischen Oberbaumbrücke und der Revaler Straße das quirrlige Leben, der andere ist erleichtert, wenn er nach einem anstrengenden Arbeitstag sein Portemonnaie noch in der Tasche hat.

Kaum verlässt man einen der schönsten U-Hochbahnhöfe Berlins, muss man aufpassen, nicht von den strömenden Menschenmassen mitgerissen zu werden. „Die Warschauer Straße ist die pulsierendste Straße in ganz Berlin!“, erzählt die Verkäuferin von Karl‘s Erdbeerhof, die ihren Stand im Übergangsbereich von S- zu U-Bahn aufgebaut hat. Sie freut sich über die tausenden Passanten, die Tag für Tag an ihrem Stand vorbeilaufen und sich vom verführerischen Duft ihrer frischen Erdbeeren anlocken lassen. Schräg gegenüber macht der launische Bäcker ganz andere Erfahrungen und flucht über zu viel Alkohol, Drogen und Taschendiebe.
Je weiter man sich auf der Brücke in Richtung S-Bahnhof bewegt, desto mehr Anwohner trifft man. Doch nicht jeder hat ein ruhiges, wohl behütetes Zuhause, das er nach einem langen Tag aufsucht, um die Beine hochzulegen. „Die Warschauer Straße ist so abgefuckt.“, hört man vorbeilaufende Passanten sagen. „Dreckig und laut, mit vielen Besoffenen.“ Auf dem Weg zur S-Bahn begegnet man vielen Obdachlosen, die unter einer mit Plakaten bepflasterten Abdeckung ohrenbetäubend laute Musik hören und um Geld „For Weed and Beer“ betteln. Man nimmt einen stark einbrennenden Marihuana-Geruch wahr, der durch den Gestank von Alkohol und Urin überdeckt wird.
Folgt man den Anwohnern in Richtung Revaler Straße, entdeckt man auf der rechten Seite einen nostalgischen, über die Zeit runtergekommenen, jedoch immer noch beliebten Fotoautomaten. Zerstört wird das Bild von den danebensitzenden Drogen-Dealern, die ihre Zeit mit lauten Unterhaltungen zu laufender Musik verstreichen lassen. Vor dem Überqueren der Straße trifft man abermals eine Gruppe volltrunkener Punks, die sich selbst als „proud“ bezeichnen. Auf der anderen Seite scheint der übliche Straßendreck kaum sichtbar. Das erste, was einem ins Auge fällt, ist eine riesengroße Spielhalle, bei der unter 21-jährigen der Zutritt verweigert wird. Mit ihren bunten Scheiben zieht sie die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich, so auch die eines unbekannten Stammgastes. „Was mir als erstes einfällt, wenn ich an die Warschauer Straße denke?“, lacht er abwertend, „dreckige Nigger.“ Sein Blick streift die auf der anderen Straßenseite sitzenden Dealer.

Schaut man vom Fotoautomaten nach rechts, sieht man das RAW Gelände, das bekannt für die neue Einrichtung „der Haubentaucher“ ist. Auf ihm befindet sich auch der 8.800 Quadratmeter umfassende RAW-Tempel. So ziemlich alle Clubs und Bars, die man aus dieser Region kennt, befinden sich auf diesem Areal. Jugendliche verbringen dort ihre Freizeit, treffen sich mit Freunden und trinken bis spät in die Nacht, auch unter der Woche. Der Bereich des RAW Geländes birgt jedoch auch seine Gefahren. Erst vor einigen Wochen wurde die bekannte Sängerin Jennifer Weist, die mit einem Freund unterwegs war, brutal überfallen. Ihr Kumpel kam mit einer lebensgefährlichen Schnittverletzung am Hals ins Krankenhaus. „Es fehlten nur ein paar Millimeter und er wäre direkt auf der Straße in meinen Armen gestorben“, berichtete sie bei Facebook und forderte so ihre Fans dazu auf, Acht zu geben. Am nächsten Tag ist von diesem Ereignis kaum noch die Rede, denn kommt man morgens am S-Bahnhof der Warschauer Straße an, so hört man schon laute Musik aus dem Suicide Circus ertönen. Kaum angekommen begegnet man den ersten Partygästen der letzten Nacht oder besser gesagt des derzeitigen Morgens und wird laut angesprochen. So kommen sie singend rausgestürmt, zu einem zugerannt und schreien: „We will, we will…“ laufen weiter zu einem Mädchen und lassen sie das weltbekannte Lied zu Ende singen: „ROCK YOU“. Jubelnd geht es dann weiter zur Bahn und vermutlich nach Hause.
Trotz der ansonsten sehr lauten Umgebung, hört man in der Ferne den Gitarre spielenden Straßenmusiker Raoul Paweczik. Ohne sich von den negativen Eindrücken der Warschauer Straße beeinflussen zu lassen, covert er bekannte Lieder, die Alt und Jung für einen Moment aus der Hektik reißen und sie zum Stehenbleiben und Zuhören auffordern. Man vergisst in diesem Augenblick den Dreck, die eigentliche Umgebung, die am Straßenrand sitzenden Obdachlosen und den Lärm, der einen hier tagtäglich begleitet. Doch nicht nur die Straßenmusik kann für Ablenkung sorgen, sondern auch die Spree mit ihren Cafés und die zahlreichen Clubs wie der Suicide Circus oder das Matrix, in denen man auch mal ganz ausgelassen tanzen kann.
Mit ihrer Vielfalt und ihren Eigenarten ist die Warschauer Straße eben doch einer der Hotspots Berlins.
in Zusammenarbeit mit Cindy Marczuk